Weihnachtsgeschichten


Weihnacht 1948
von Rainer Walter

 

Mein Vater war bis September 1949 in russischer Kriegsgefangenschaft. Meine Mutter erzählte oft von ihm. Kurz vor Weihnacht 1948 kam ein kleines Weihnachtspaket für mich von meinem Vater. Es enthielt ein von ihm selbst gebasteltes Spiel. Auf einer kleinen Holzplatte mit Stiel sind vier bewegliche Hühner montiert. Diese sind über Schnüre mit einem Holzgewicht verbunden. Beim drehen der Platte picken die Hühner aufgemalte Körner.

Über dieses Weihnachtsgeschenk habe ich mich sehr gefreut und auch jahrelang diente es mir als Spielzeug. Dieses Geschenk halte ich noch heute in Ehren.

Weitere Geschenke bekam ich von meiner Mutter, ihrer Schwester Johanna und von Onkel Erwin Müller.

Meine Wünsche waren eine Säge, Sägbock, Spielzeugautos und Handharmonika.

 

Rainer Walter, Hauptstraße 81, Malsch


Weihnachten 1950
von Donald Werthwein

 

Wir hatten eine Weihnacht wie im Bilderbuch: es hatte kräftig geschneit, und immer noch fielen ein paar Flöckchen vom Himmel. Ende der 1950er Jahre waren die Winter häufig kalt und schneereich und wir Kinder fanden so etwas völlig normal. Die freudige Aufregung der Erwachsenen verstanden wir nicht so recht. In unseren Kinderbüchern stapfte St. Nikolaus schon Anfang Dezember durch den Schnee und in den Micky-Maus Heften gab es immer weiße Weihnachten.

 

Unser Wohnzimmer stand seit dem Mittag unter Quarantäne: „Betreten verboten“, die Tür war abgeschlossen. Was selten vorkam, wir erhielten die Aufforderung, draußen zu spielen oder Schlittenfahren zu gehen. Endlich gab’s Abendessen. Traditionell Kartoffelsalat und Wienerle. Die Familie versammelte sich vor der verschlossenen Wohnzimmertür und jemand fragte, ob das Christkind schon dagewesen sei. Atemlos lauschten wir im halbdunklen Flur.

 

In diesem Moment hörte man leise ein Glöckchen läuten. Im verschlossenen Wohnzimmer! Rasch zog mein Vater einen Schlüssel aus der Hosentasche und entriegelte die Tür. Vorsichtig schob er sie auf und vor uns stand ein Weihnachtsbaum mit flackernden Kerzen, darunter eine Krippe und Stapel von bunt verpackten Geschenken. Nur, vom Christkind war nichts mehr zu sehen, eine Enttäuschung und gleichzeitig ein rätselhaftes Wunder. Nun versammelte sich die Familie um den Baum und es wurden Weihnachtslieder angestimmt, wobei wir Kinder inbrünstig hofften, dass nicht alle Strophen gesungen werden mussten. Oma und Opa kannten da aber kein Erbarmen. Während des letzten Liedes hatte mein Vater die am Baum hängenden Sternschlager angezündet. Prasselnd verbreiteten sie einen hellen Funkenregen und einen eigenartigen Geruch von Chemie und Tannennadeln, der unvergesslich war: Der Duft von Heilig Abend. 

Jetzt kam für uns Kinder der wichtigste Teil. Mutter gab einzeln die Geschenke aus. Sparsam wie sie war, ermahnte sie jeden, das Geschenkpapier nicht zu zerreißen, weil es dann wiederverwendbar wäre. Eine weitere Geduldsprobe. Endlich, meine Geschenke: Bücher, Spielsachen und- wenig aufregend – Taschentücher und warme Sachen zum Anziehen.

Dann kehrte Ruhe ein. Wir Kinder spielten auf dem Wohnzimmerteppich und die Erwachsenen hatten es sich bei einem Gläschen Glühwein bequem gemacht.

 

Plötzlich schrillte die Türglocke. Wer störte am Heiligen Abend noch um diese Zeit?

Energiegeladen wie immer kam Großtante Sophie ins Zimmer. „Ich bin gerade auf dem Weg zur Christmesse“, rief sie und deutete auf mich. „Du kommst mit.“ Bei Tante Sophie war Widerstand zwecklos. Mit hängendem Kopf zog ich meine neuen „Skistiefel“ an, die, weil sie etwas größer „zum Reinwachsen“ gekauft worden waren, noch eines extra Sockenpaares bedurften.

 

Tante Sophie war mit dem Auto gekommen. Sie war die einzige Frau die ich kannte, die selbst fuhr. Schon damit hatte sie in der Familie einen besonderen Status, chauffierte sie doch bei Bedarf sämtliche Verwandte durch die Gegend. Als wir Richtung Kirche St. Cyriak fuhren, bog sie unerwartet rechts ab und sagte: „Vorher gehen wir noch auf den Friedhof.“ Sie parkte ihren Käfer unterhalb des Friedhofes und packte einige Grablichte und Streichhölzer aus. Dann machten wir uns auf den dunklen Weg hinauf.

 

Oben am Eingang nahm ich eine eigenartige Helligkeit wahr. Als wir den Friedhof betraten empfing mich ein einzigartiger Anblick. Das gesamte Gelände schimmerte im Licht von hunderten von Kerzen, die vor den Grabsteinen tief in den Schnee gesunken waren. Ich konnte keine Menschenseele sehen, nur dieser leicht flackernde Schein im hell strahlenden Schnee zeugte davon, dass Leute hier gewesen sein mussten. Ein eigenartiges Gefühl von Einsamkeit, Ruhe, aber auch Hoffnung und Freude erfüllte mich; so etwas hatte ich noch nie verspürt.

 

Ich bemerkte nicht, wie meine Tante sich auf den Weg zu ihrem Grabbesuch machte. Als sie zurückkehrte, stand ich noch genauso da, wie sie mich zurückgelassen hatte. Erst als sie mir etwas zurief, stellte ich fest, dass einige Zeit vergangen war. Sie schien das eigenartige Stimmungsbild, das auf mich so stark wirkte, nicht einmal bemerkt zu haben. Noch den ganzen Weg zur Kirche und während der Christmesse ging mir dieser unirdische Glanz auf dem Friedhof durch den Kopf. Ich weiß noch, dass ich bei dem Lied „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ mitgesungen hatte, aber die Fahrt nach Hause ist mir nicht mehr im Gedächtnis.

Was sich aber erhalten hat bis zum heutigen Tag, ist die Erinnerung an jenen Heiligen Abend und an die Atmosphäre auf dem in tiefer Nacht still daliegenden Malscher Friedhof im leuchtenden Schnee.

 Donald Werthwein