Einzelne Lebensschicksale vor der NS-Justiz
Nach der Machtübernahme durch die NSDAP kamen zu den bereits bestehenden Strafgerichten die Sondergerichte hinzu. Die Ausführung dieser Bestimmungen oblag zunächst der Landesjustizverwaltung. Die Sondergerichte wurden für die Oberlandesgerichtsbezirke gebildet und waren mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern besetzt. Für den Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe wurde ein Sondergericht beim Landgericht Mannheim eingerichtet. Ab dem Jahre 1940 kam in Freiburg für die Bezirke der Landgerichte Freiburg, Konstanz, Offenburg und Waldshut ein weiteres hinzu.
Die Sondergerichte, gegen deren Urteil ein Rechtsmittel nicht zulässig war, waren zuerst für die Zerschlagung des politischen Widerstandes zuständig. Die Urteile waren mit Urteilsverkündung rechtskräftig. Es gab lediglich auf dem Gnadenweg die Möglichkeit das Urteil abzuändern. Der Verurteilte oder sein Vertreter konnte ein Gnadengesuch bei der Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Mannheim einreichen, die dann die notwendigen Ermittlungen über die Gnadenwürdigkeit einholte und das Gesuch mit einer entsprechenden Empfehlung an das Reichsjustizministerium zur Entscheidung vorlegte. Lediglich bei Todesurteilen stand Hitler selbst das Begnadigungsrecht zu, das er soweit wir recherchiert haben, bei den Urteilen des Sondergerichts Mannheim einmal anwendete.
Zuerst wurden die Sondergerichte für die Zerschlagung des politischen Widerstandes und die Inhaftierung politischer Andersdenkender genutzt. Rechtsgrundlage für die Verfahren bildete hier die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat und die Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung. Diese Verordnung wurde später durch das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, dem sog. Heimtückegesetz, ersetzt. Im Jahre 1939 kamen zur Sicherung des Krieges unter anderem die Kriegswirtschaftsverordnung, die Volksschädlingsverordnung und die Verordnung zum Schutz gegen Gewaltverbrecher hinzu. Traurigen Ruhm erreichten diese Verordnungen durch die Möglichkeit bei „besonders verabscheuungswürdigen Taten“ oder wenn „die Strafzumessung nach gesundem Volksempfinden eine gerechte Sühne verdient“ Todesurteile auszusprechen. Diese Taten waren nicht selten der Diebstahl von Gegenständen von geringem Wert. So wurden z.B Todesurteile für den versuchten Raub einer Handtasche oder von ca. 12 Flaschen Wein ausgesprochen. Das Sondergericht Mannheim sprach in der Zeit von 1938 bis 1945 ca. 80 Todesurteile aus. Glücklicherweise war aus Malsch und seinen Ortsteilen niemand darunter.
Wir wollen nun versuchen anhand einzelner Beispiele die politische Gerichtsbarkeit mit ihren Folgen zu erläutern.
Otto Sand wurde in Malsch am 02.07.1882 geboren und verzog später nach Karlsruhe. 1931 trat er der SA und der NSDAP bei. In der Kampfzeit übernahm er insbesondere bei Reden von Robert Wagner, dem späteren Reichsstatthalter und Gauleiter, den Saalschutz. Im Jahre 1935 äußerte er in Karlsruhe, dass Robert Wagner das Geld über die Grenze verschiebe. Wagner sei der größte Idiot, den es auf der Welt gäbe. Diese und weitere banale Kritik an der Arbeit der NSDAP brachte ihm eine Gefängnisstrafe von acht Monaten ein.
Der am 30.01.1880 in Malsch geborene und im Jahre 1937 in Offenburg lebende Pfarrer Eugen Augenstein kam mit der NS-Justiz in Berührung, als er im Religionsunterricht in der Volksschule in Offenburg äußerte, dass nirgendwo in der Welt die Jugend so schlecht sei, wie in Deutschland. Man solle sich an der italienischen Jugend ein Beispiel nehmen, die sei religiöser erzogen. Unter der alten Regierung seien die Kinder nicht so frech gewesen. Wenn der Kommunismus nach Deutschland kommen sollte, könne die Jugend nicht standhalten. Wegen der von den Nationalsozialisten zur Zerschlagung der im Nazi-Jargon „politischer Katholizismus“ genannten Betätigung der katholischen Kirche genügte dieser Unterricht, um gegen Eugen Augenstein ein Verfahren vor dem Sondergericht zu eröffnen. Die Klagepunkte waren in der Verhandlung allerdings nicht haltbar, so dass er –allerdings eingeschüchtert- freigesprochen werden musste. Der Staatsanwalt bemerkte in einem Schreiben „Ich habe 5 Monate Freiheitsstrafe beantragt, der Freispruch kam völlig überraschend“.
Der am 14.09.1899 in Malsch geborene und in Malsch wohnhafte Maschinenarbeiter Emil Ecker unterhielt sich in der Zeit von Dezember 1941 bis Januar 1942 an seinem Arbeitsplatz in der Abteilung 232 des Daimler-Benz Werkes in Gaggenau mit seinen Arbeitskameraden über die politische Lage. Auf die Frage eines Arbeitskameraden, was der Führer gesprochen habe, äußerte er folgendes. „Wenn er nur verrecken dät, der Hund. Dere nationale Regierung g’hert der Hals abgschnitte, einem wie dem anderen.“ Bei einer erneuten Wahl würde das Volk lieber einen Ster Holz sägen, als den Hitler noch einmal zu wählen. Er war 5 Jahre arbeitslos gewesen, er wolle diese Zeit trotzdem vor die jetzige, wo er Arbeit habe, stellen. Vom neuen Jahr wolle er nichts wissen, es sei doch alles nur Lüge und Schwindel. Bei der Hauptverhandlung konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er diese Äußerungen tatsächlich machte, so dass ein Freispruch erfolgen musste.
Der katholische Pfarrer Karl Reichert, der am 08.06.1891 in Malsch geboren wurde, war ab Mai 1936 Pfarrer in Untersimonswald. 1920 wurde er Vikar in Freiburg-Zähringen. Weitere Stationen waren Schönau im Wiesental, Müllheim, Freiburg (Herz-Jesu-Kirche) und Sandweier. Im Necrologium Friburgense ist über ihn vermerkt, dass er in Untersimonswald einen Wirkungskreis fand, der wie geschaffen für ihn war. In den 32 Jahren seiner dortigen Tätigkeit bekam der die große Gemeinde so fest in seine lenkende Hand, wie das nur bei einem Seelsorger seiner Vitalität möglich sei. Seine Persönlichkeit war auch der Anlass für die politische Macht, ihn genau zu beobachten. Während der Christenlehre und einer Mütterversammlung in der Kirche in Altsimonswald bemerkte er, dass in einem BDM-Heim in Neuweg die Heiligenbilder heruntergerissen wurden. Die Mädels sollten aus einer solchen Organisation austreten, in der so etwas vorkommt. Auch sollten die Eltern der Kinder, diese aus einer solchen Organisation herausnehmen. Nur weil er sonst in politischer Hinsicht noch nicht hervorgetreten war, ordnete das Reichsjustizministerium die Strafverfolgung nicht an. Das Verfahren wurde eingestellt. 1967 wurde er in Kirchhofen in den Ruhestand versetzt. Er lebte zuletzt in Waldprechtsweier und starb am 14.03.1970 in Karlsruhe. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Malsch.
Diese Fälle bilden nur eine geringe Auswahl der im Generallandesarchiv Karlsruhe überlieferten Ermittlungs- und Verfahrensakten des Sondergerichts Mannheim. Es sind dort weit mehr Akten über aus Malsch stammenden bzw. dort lebenden Menschen vorhanden. Es ist geplant, in einer weiteren Ausgabe des Gemeindeanzeigers über diese Schicksale zu berichten.
Manfred Hennhöfer, Arbeitskreis Heimat und Zeitgeschichte