Adlerstraße 66 / 68 / 72

200 Jahre Malscher Geschichte abgerissen 

Flurstücknr. 451, Adlerstraße 72 

 

Rechts das Waaghäusle, abgerissen März 2018
Rechts das Waaghäusle, abgerissen März 2018

Obwohl die Aufdimisionierung der Bachverdolung ein unterirdisches Projekt ist, gibt es im Vorfeld doch einige Baumaßnahmen, die das Erscheinungsbild von Malsch entscheidend verändern. So wurde im März 2018 das in zentraler Lage liegende alte historische Waaghäusle abgerissen. (Klick hier zum Artikel Waaghäusel)

Laut Beschluss des Gemeinderates soll im Areal Adlerstraße 66-72, links neben der Bäckerei Neff,ein pvisorischer Park- und Baustellenplatz wegen den Baumaßnahmen Bachverdolung eingerichtet werden. Im April 2018 wurden die Reste der Fachwerkscheune vom Essl-Haus (das Haupthaus und Haus Nr. 66 wurden 2012 abgerissen) und das große ehemalige jüdische Heinzler-Haus Adlerstraße 72 wurde im April 2018 abgerissen. Die Heimatfreunde wollen hier die Geschichte des jüdischen Hauses in der Adlerstraße 72 erzählen.

Adlerstraße 72, von Juden erbautes Haus
Adlerstraße 72, von Juden erbautes Haus

Das Haus Nr. 72 wurde laut Schlussstein am Kellerabgang 1839 wahrscheinlich von der jüdischen Familie Maier erbaut. Es wohnte dort Nathan Maier und seine Frau Julchen, geb. Erlenbacher. Somit stand dieses Haus auch stellvertretend für die damalige jüdische Bevölkerungsschicht, welche schon 1622 beantragt hatte, sich in Malsch niederlassen zu dürfen und sich zu einer der größten im Landkreis entwickelte. 1825 gab es 108 (4,6%) Israeliten in Malsch, 1875 waren es 320 (9%). 1873, nachdem die schulpflichtigen jüdischen Kinder über 50 Personen angewachsen war, wurde ein jüdischer Lehrer und ein eigener Schulraum erlaubt.

1933 gab es eine große Anzahl an jüdischen Geschäften: ein Schuhhaus, ein Textiliengeschäft, eine Zigarren- und Tabakfabrik, ein Tabakgroßhandel, ein Haushaltsartikel-Geschäft, eine Fasshandlung, eine Tankstelle und 16 Viehhandlungen.

Schlussstein 1839, rechts jüdische Mesusa
Schlussstein 1839, rechts jüdische Mesusa

Der Sohn von Nathan Maier, der Viehhändler Löb Maier, geb. 1877, wohnte mit seiner Ehefrau Berta „Bertale" Maier, geb. 1877 in der heutigen Adlerstraße 72. Über ihre Deportation nach Gurs am 22. Oktober 1940 hat der Augenzeuge Eugen Heinzler berichtet:

 

„Ich war gerade im Hof bei meinen Großeltern Theresia und Anselm Heinzler und sah, wie die jüdischen Nachbarn meiner Großeltern, Löb und Berta Maier, mit einem Holz-Leiterwagen beladen mit Brennholz in ihren Hof in der Adlerstraße fuhren. Dort stand der Malscher Ortspolizist und erwartete die beiden bereits. Es gab ein kurzes Gespräch. Daraufhin ließen die Eheleute ihren Holz-Leiterwagen mit dem Brennholz im Hof stehen und gingen sofort in ihr Haus. Es dauerte keine halbe Stunde, und beide kamen gemeinsam mit einem Koffer und einer Tasche aus dem Haus. Seit diesem Zeitpunkt habe ich beide nicht mehr gesehen.“

Jüdischer Stolberstein, Löb Maier, vorne an der Adlerstraße
Jüdischer Stolberstein, Löb Maier, vorne an der Adlerstraße

Löb Maier war Frontkämpfer im 1. Weltkrieg. Ihm wurde 1935 das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ durch den damaligen Bürgermeister (Lumpp oder Hornberger) verliehen. Er ist am 24. September 1941 in Gurs verstorben, seine Frau Berta überlebte das Lager Gurs.

 

 Nach dem 2. Weltkrieg wurden von der Gemeinde in der Adlerstraße 72 Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Frau Berta Maier nahm nach dem Krieg Kontakt mit der Gemeinde auf. Das Haus Adlerstraße 72 war eines der drei Häuser, die auch nach dem Krieg noch in jüdischem Besitz waren. Der Grund war ein Schreiben der Oberfinanzdirektion vom 22. Juni 1942, die mit sofortiger Wirkung den Verkauf von jüdischem Grundbesitz bis zum Ende des Krieges zurückstellte. Deshalb wurde dieses Haus bis nach dem Krieg nicht verkauft. Frau Maier wollte in ihr Haus zurück, da aber die Gemeinde Flüchtlinge dort unter gebracht hatte, wurde ihr nur eine Wohnung im Haus angeboten, dies lehnte sie jedoch ab, da ihr ja das ganze Haus gehörte. Berta Maier blieb zunächst in Frankreich und übersiedelte 1947 zu ihrem Bruder Fred in die USA.

Vorne Abriss der Fachwerkscheuer Adlerstraße 68, im Hintergrund Abriss Adlerstraße 72
Vorne Abriss der Fachwerkscheuer Adlerstraße 68, im Hintergrund Abriss Adlerstraße 72

Am 13. Dezember 1950 erwarben Matthias Heinzler, der Vater des Heimatfreundes Eugen Heinzler, geb. 1932, das Haus. Eugen Heinzler wohnte dort bis zu seinem Tote 2017. Die Angehörigen verkauften das Anwesen an die Gemeinde.

Das Haus Adlerstraße Nr. 72 wurde im Mai 2018 abgerissen.

 

Im Kellerabgang gab es eine jüdische Mesusa (Hausheiligtum) zu sehen. Sie bedeutet Türpfosten und bezeichnet eine Schriftkapsel am Türpfosten, die im Judentum Bedeutung hat und Verwendung findet. Dies geht auf mehrere Abschnitte in der Tora zurück:

„Du sollst [diese Worte] auf die Türpfosten deines Hauses und deiner Stadttore schreiben.“

 

Den Heimatfreunden Malsch blieb nur noch die Aufgabe, den Schlussstein und die Mesusa zu sichern. Außerdem wurde ein beschrifteter Holzbalken mit der Inschrift „Hansjörg Hitscherich (Hansjerg), Maria Hitscherich (Marianna) 1769“ sicher gestellt.

 

 Auf dem Gehweg in der Adlerstraße weist nur noch ein Stolperstein mit der Erinnerung:„Hier wohnte Löb Maier, Jg 1877, deportiert 1940, Gurs, tot 24.9.1941“ hin.

 

Das alte Essl-Anwesen
Das alte Essl-Anwesen

Außer dem Haus Nr. 72 wurden die Reste des Hauses Essl (Fachwerkscheuer) in der Adlerstraße Nr. 68 abgerissen. Das Haupthaus wurde bereits am 25.01.2012 abgebrochen. Es war ein charmantes historisches Fachwerkensemble. Es wurde von Andres Bechler und seiner Frau Maria 1778 erbaut.

 

Das Anwesen Geiger, Adlerstraße 66, das 1759 erbaut worden ist, wurde bereits am 20. Februar 2012 abgerissen.

 

Adlerstraße 66-72 im Mai 2018
Adlerstraße 66-72 im Mai 2018