Bäckerei Werthwein

Trudel Werthwein hinter der Ladentheke
Trudel Werthwein hinter der Ladentheke

Geschichte der Bäckerei Werthwein, von Donald Werthwein:

Karl (Karlo) und Trudlinde (Trudel) Werthwein aus Karlsruhe kannten Malsch schon recht gut. Vor allem Trudlinde hatte sich bereits vor dem Krieg oft in Malsch bei Verwandten aufgehalten, dem Ehepaar Pottiez, den Besitzern der Ziegelei am Bergwald. Während des zweiten Weltkriegs und auch danach hatte sie als Kunstgewerblerin im Waldhaus in der Mal- und Schnitzwerkstätte gearbeitet. So war es keine Überraschung, dass Karl, als er die Chance hatte das Café Fritz in Malsch zu pachten, zugriff, um sich selbständig zu machen. Er war 25 Jahre alt. 

 

Von Anfang an waren Cafébetrieb und Absatz von Konditoreiwaren erfolgreich. Was weniger gut ging, war der Verkauf von Brot und Backwaren. Das hatte natürlich Gründe. Die meisten Malscher waren mit einem der damals zahlreichen Bäcker im Ort verwandt und kauften selbstverständlich dort ein. Hinzu kam, dass Karl evangelisch war, das hatte in einem katholischen Dorf zu jener Zeit noch eine gewisse Bedeutung. Dadurch ließ sich Karl aber nicht entmutigen. Er war von der Qualität seiner Backwaren überzeugt und behielt den hohen Standard seiner Produkte bei. Dies allein genügte schon, um seinen Kundenstamm zu erweitern. Noch viel wichtiger scheint aber, dass Karl ein sehr geselliger Mensch war. Er begegnete jedem Menschen ohne Vorurteile, war hilfsbereit und hatte immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. Wen wundert es, dass er rasch im Malscher Vereinsleben auftauchte. Als ehemaliger Badisch-Elsässischer Jugendmeister im Boxen zog es ihn natürlich zum damals sehr regen Malscher Boxsport hin. Er wurde auch Mitglied im Schützenverein sowie dem  Hundesportverein, dem er ein Leben lang verbunden blieb. Mit großer Begeisterung wirkte er in der GroKaGe mit. Er tanzte im Landgrabenballett und gehörte zum Elferrat. Diese und weitere Aktivitäten führten dazu, dass „Karlo“ Werthwein sehr bald von den Malschern akzeptiert wurde.  Dem Umsatz in seinem Geschäft hat es auf jeden Fall nicht geschadet. 

 

Zu Beginn des Jahres 1957 konnte Karl mit seiner Leistung zufrieden sein. Im Nebenzimmer seines Cafés lief Malschs erster öffentlicher Fernseher, seine Schwarzwälder Kirschtorte hatte nahezu Kultstatus, sein Konditoren-Eis (Zitroneneis nur mit Zugabe von Sekt hergestellt) hatte im vergangenen Sommer Rekordumsätze erzielt und er überlegte sich, ob er nicht einen zweiten Gesellen einstellen sollte.  

 

Doch dann sollte alles anders werden. Karls Ehefrau litt plötzlich unter heftigen Asthma-Anfällen, die in immer kürzeren Abständen erfolgten. Der Hausarzt Dr. Eberhard Essig fand schließlich die Ursache. Die Bäckerei in der Hauptstraße 145 war in baulich schlechtem Zustand, das Druckwasser aus dem ansteigenden Gelände hinter dem Gebäude hatte die Wände durchfeuchtet und zu Schimmelbefall geführt. Im Haus steckte der Schwamm, wie man damals sagte. Das Ehepaar war fassungslos, als Dr. Eberhard Essig prophezeite: „Noch ein Jahr in diesem Haus, Karl, und wir können deine Frau auf dem Friedhof besuchen.“  

 

Innerhalb kürzester Zeit musste Karl nach einer Alternative für sein Geschäft Ausschau halten. Nach einigen Wochen Suche von Karlsruhe bis zum Bodensee wurde er in Palmbach fündig. Dort konnte eine Bäckerei gepachtet werden mit einer Option zum Kauf des Gebäudes.

 

Am 21. September 1957 meldete er seinen Betrieb in Malsch ab und eröffnete am dritten Oktober die Bäckerei in Palmbach. Doch schon nach bald wurde ihm klar, dass die Besitzerin das Gebäude überhaupt nicht verkaufen wollte beziehungsweise den Kaufpreis ständig in die Höhe trieb. Trost fand man damals bei den häufig aus Malsch anreisenden Freunden und Bekannten, die den doch recht langen Weg nach Palmbach nicht scheuten, um Karlo und Trudel zu besuchen. Trudlinde ging es zu dieser Zeit schon etwas besser, die Asthma-Anfälle kamen in längeren Abständen und waren nicht mehr so heftig.  Anfang 1958 brachten Malscher Besucher dann die Nachricht, dass die Bäckerei Gräßer in der Kreuzstraße  zum Verkauf angeboten würde. Frau Hörmann, die Besitzerin, hatte sich entschlossen, das Haus zu verkaufen. Es begann eine hektische Zeit. In wenigen Wochen wurde alles geregelt, und schon vor Ostern 1958 konnte die Familie in der Kreuzstraße 3 einziehen. 

 

Karl und Trudel Werthwein
Karl und Trudel Werthwein

Karls Wunsch, in der Kreuzstraße wieder ein Café zu eröffnen wurde jedoch nie erfüllt. Die zuständige Behörde genehmigte den Betrieb nicht, weil in den dazu vorgesehenen Räumen die vorgeschriebene Deckenhöhe um wenige Zentimeter unterschritten war. Die erforderlichen Umbaumaßnahmen, um die Decken zu erhöhen, konnte sich Karl nach dem Kauf der Bäckerei nicht mehr leisten. Kapital hatte auch der Umbau des Verkaufsraums verschlungen. Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen, aber die Kreuzstraße war eine der Hauptverkehrsadern durch Malsch. Von Sulzbach kommend führte die Verbindung nach Muggensturm von der Kelter zur Kreuzstraße, über die Hauptstraße und die Ochsenbrücke zur Muggensturmer Straße. Der Verkehr im und durch den Ort nahm ständig zu, und die Kreuzstraße war noch in beide Richtungen befahrbar. Kunden, die die Bäckerei verließen, mussten von einer Treppe im Laden direkt auf die Straße treten, was im starken Verkehr in der Kreuzstraße äußerst gefährlich war. Aus diesem Grund wurde dieser Eingang vermauert und der Zugang zum Laden auf die Seite des Hauses verlegt. Dazu wurde das Hoftor, das sich direkt an der Straße befand, etwa zwei Meter tiefer im Hof eingebaut. Durch den Absatz an der Treppe gab es nun kein Gedränge mehr beim Zutritt oder Verlassens des Ladens. Ein weiterer Vorteil bestand in der Möglichkeit, nun vor dem Geschäft zu parken.  

 

Aus dem Café Werthwein war die Bäckerei und Konditorei Werthwein geworden. Weiterhin wurden hochwertige Torten, selbst hergestelltes Speiseeis und alle erdenklichen Backwaren angeboten. Ein neuer Kundenstamm konnte in der Kreuzstraße auch dazugewonnen werden: Die Kinder auf dem Weg zur Kinderschule versorgten sich in der Bäckerei mit ihrem Vesper. Der Umsatz an Bretzeln, Laugenwecken und Schneckennudeln stieg merklich.

 

Damals war der Verkauf von saisonalen Produkten noch stark von bestimmten Tagen abhängig. Neujahrsbrezeln konnte man nur an Silvester anbieten, Berliner gab es nur vor Fastnacht, Osterlämmer gingen nur am Ostersamstag gut, Dambedeis wurden ausschließlich  am Nikolaustag verkauft und erst dann kamen Weihnachtgebäck, Stollen und Früchtebrot in die Auslage.  

 

Die 60er Jahre brachten neue Herausforderungen. In den 50er Jahren hatte kaum jemand daran gedacht, dass gut zu essen ein Problem werden könnte. Aber nun begann man, auf seine schlanke Linie zu achten. Der Umsatz von Buttercremetorten sank rapide, der Verkauf von Schlagsahne ging extrem zurück. Obstkuchen und leichtere Käse-Sahnetorten wurden mehr nachgefragt.  

 

Die Arbeit im Sommer wurde für die Malscher Bäcker nun stärker zur zeitweiligen Belastung. Auch sie hatten entdeckt, dass sie ein Recht auf Urlaub hatten. Man sprach sich zwar untereinander ab, um wie andere in den sonnigen Süden ziehen zu können, aber die zurückgelassene Kundschaft stand Schlange vor den noch offenen Geschäften. In der heißesten Jahreszeit liefen die Öfen auf Hochtouren. Wen wundert es, dass Karl beschloss, seinen Backofen von Kohle auf Ölbefeuerung umzustellen um sich die Arbeit etwas zu erleichtern.  

 

Glück hatte Karl, als er bei einem Ausflug in den Schwarzwald von einer Bäuerin das Rezept für ein besonderes Landbrot erhielt. Die Herstellung war zwar etwas aufwändiger als bei einem normalen Weizenmischbrot, aber sie lohnte sich. Sogar von Karlsruhe kamen Kunden, um sein Schwarzwälder Landbrot zu kaufen. Es blieb bis zur Aufgabe der Bäckerei einer der beliebtesten Artikel im Angebot. Mindestens genauso beliebt waren allerdings seine Schokoladebananen, mancher Malscher träumt heute noch davon.

 

Anfang der 70er Jahre führten steigende Energiekosten dazu, dass sich der alte Ofen nicht mehr rechnete. Der gemauerte Ofen brauchte lange Vorheizzeiten und war sehr bedienungs- und wartungsintensiv. Tagelang ruhte der Ofen zum Auskühlen, bevor man ihn abreißen konnte, und selbst dann mussten Handschuhe getragen werden, weil das Mauerwerk noch heiß war. Ein bedienungsfreundlicher, moderner Stahlofen trat an seine Stelle. 

Ein Teil der Backstube
Ein Teil der Backstube

Ab Mitte der 1970er Jahre begannen für die Bäckerei Werthwein schwierige Zeiten. Die Konkurrenz durch Supermärkte wurde immer spürbarer und die mobil gewordenen Malscher kauften auch außerhalb des Ortes ein. 1976 erlitt Karl einen Herzinfarkt und das Geschäft blieb fast ein Jahr geschlossen. Als Karl 1977 die Bäckerei nach seiner Genesung neu eröffnete, war die treue Stammkundschaft allerdings sofort wieder im Laden. 

In den folgenden Jahren hatte Karl aber mit weiteren Problemen zu kämpfen. Einerseits war die Kreuzstraße zur Einbahnstraße geworden und nur noch von der Friedrichstraße anzufahren, andererseits führten zahlreiche Straßenarbeiten sowie Neu und Umbauten in der Nachbarschaft immer wieder zu langen Totalsperrungen der engen Straße. Manche Kunden nahmen den Fußmarsch auf den „Schwanenbuckel“ nicht mehr in Kauf und blieben weg. Die Folge war ein Umsatz, der gerade noch ausreichte, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Im Jahr 1990 beschlossen Karl und Trudlinde, den Betrieb endgültig aufzugeben und in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Die Bäckerei Werthwein auf dem Schwanenbuckel in der Kreuzstraße war Geschichte. Karl achtete allerdings darauf, dass sein Backofen praktisch bis zu seinem Tod Im Jahr 2009 funktionstüchtig blieb.