die Irrfahrt der St. Louis

Familie Kaufherr vor der Synagoge: v.li.n.re:Betty, Hannelore, Josef, Marianne, Martin
Familie Kaufherr vor der Synagoge: v.li.n.re:Betty, Hannelore, Josef, Marianne, Martin

Zum Abschluss der Ausstellung der Heimatfreunde „Jüdisches Leben in Malsch“ berichtete am Mittwoch, 26. November 2008 im vollbesetzten Sitzungssaal des Rathauses Dr. Clemens Rehm vom Landesarchiv Baden-Württemberg sowie Sally und Donald Werthwein über die Reise auf der St. Louis im Jahre 1939 .

Wie kam es nun überhaupt zum Fahrt auf der St. Louis?

Einerseits mussten sich Juden seit der Pogromnacht vom 9. November 1938 verpflichten, das Deutsche Reich zu verlassen, andererseits suchte die nationalsozialistische Regierung anti-jüdische Propaganda zu betreiben mit der Betonung darauf, wie gut es den jüdischen Ausreisenden angeblich erging. Man wollte der deutschen Bevölkerung zeigen, dass die Juden massenhaft das Reich verließen, wobei sie unter luxuriösen Bedingungen reisten. Auch die aufgebrachte internationale Öffentlichkeit sollte beruhigt werden. Deshalb wurde von der obersten Führung veranlasst, dass mit dem deutschen Luxusschiff, St. Louis, Juden angeblich das Reich aus freien Stücken verlassen konnten.

Bella Löb mit ihren KIndern Armin und Ruth an Bord der St. Louis
Bella Löb mit ihren KIndern Armin und Ruth an Bord der St. Louis

Die St. Louis verließ am 13. Mai 1939 Hamburg. An Bord befanden sich 937 jüdische Passagiere aus allen Teilen Deutschlands und Osteuropas. Fast alle Passagiere besaßen touristische Einreisebewilligungen und keine regulären Visa. Offiziell handelte es sich um eine Vergnügungsreise nach Havanna. Passagiere der ersten Klasse hatten 800 Reichsmark, die der Touristenklasse 600 Reichsmark zu bezahlen. Dabei mussten 230 Mark für eine eventuelle Rückreise deponiert werden, sofern eine Landung in Kuba nicht möglich sein sollte. An Bargeld durfte jede Person 10 Reichsmark mit sich führen sowie Güter im Wert von maximal 1000 Reichsmark.

Beim Auslaufen der St. Louis spielte man ironischerweise das traditionelle Lied „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Am 15. Mai erreichte das Schiff Cherbourg und nahm einige weitere meist jüdische Passagiere an Bord.

Was man an Bord nicht wusste war, dass die kubanische Regierung aufgrund von anti-jüdischer Hetze unter der Bevölkerung am 5. Mai die Landegenehmigungen für ungültig erklärt hatte. Drei Tage vor der Abfahrt jedoch wurde schriftlich zugesichert, dass die Passagiere der St. Louis dennoch in Havanna an Land dürften. So begab sich das Kreuzfahrtschiff auf die Überquerung des Atlantiks. Am 19. Mai passierte man die Azoren und erreichte am 27. Mai den Hafen von Havanna. 

Unter den Passagieren waren auch 21 Malscher. Es waren 11 Verwandte von Fritz Löb – seine Mutter Marie Löb und seine Schwester Anneliese, seine Großeltern väterlicherseits – Karolina und Isidor Löb, seine Großeltern mütterlicherseits – Mina und Salomon Lehmann, seine Tante Bella Löb, seine Cousine Ruth und sein Cousin Armin, sowie sein Großonkel David Maier, genannt Katzebeitl, mit seiner Ehefrau Pauline.

Außerdem Josef Kaufherr mit Frau Betty und Tochter Hannelore, das Ehepaar Josef und Fanny Stein, Ludwig und Freya Maier mit Tochter Sonja sowie Amalie Herz und Helene Maier, deren damaliger Wohnort nicht mehr feststellbar ist. Unter den oben genannten Malscher Passagieren befanden sich 5 Kinder im Alter zwischen 4 und 13 Jahren.

Fanny und Joseph Stein auf der St. Louis
Fanny und Joseph Stein auf der St. Louis

Jeden Tag wurden auf einer Positionstafel die Hapag-Fähnchen ein Stück weiter gesteckt.

So schrieb zum Beispiel Joseph Kaufherr an die Familie Sigmund Maier, seine Verwandten in Malsch, in einem Brief der auf den Azoren abgestempelt worden war:

„Es ist großartig, die A-zores hinter uns zu lassen“. Dies war eine verschlüsselte Botschaft:

„Zores“ ist das hebräische Wort für Sorgen.

Joseph Kaufherr war in Malsch bekannt für seine lustigen Gedichte und Sprüche. Er war der Inhaber des Schuhgeschäftes neben der Synagoge in der jetzigen Hauptstraße. 

Da die leibliche Mutter von Marianne und Martin gestorben war, konnten sie als Halbweisen früher in die USA reisen.

Am 27. Mai ging die St. Louis in Havanna vor Anker. An diesem Tag schrieb Fanny Stein eine Karte an Frau Werner nach Malsch:

Liebe Frau Werner

 

Sende Ihnen vom Schiff aus herzliche Grüße und herzliches Lebewohl. Wir hatten eine sehr gute Fahrt und gutes Wetter, in einigen Tagen landen wir.

 

Auch Ihrer lieben Schwester noch herzliche Grüße, bleiben Sie gesund und nochmals herzliche Grüße aus weiter Ferne.

Ihre F. Stein

 

Nachdem das Schiff vor Anker gegangen war, geschah folgendes:

Die Passagiere trugen ihre Koffer an Deck. Es näherten sich der “St. Louis” die ersten Boote mit Freunden und Verwandten die es bereits nach Cuba geschafft hatten. Vom Schiff aus wurde den Bekannten und Verwandten zugewunken.

An Bord kamen Gerüchte auf, dass die Schiffspapiere nicht in Ordnung seien. Die Gesundheitsbehörde müsse noch inspizieren. Sowieso, am Wochenende würde nicht ausgeschifft. Mit den Landeerlaubnissen, munkelte man gar, stimme etwas nicht. HAPAG-Offizielle und kubanische Polizisten erschienen an Bord. In den Folgetagen wurde verhandelt. Der kubanische “Einwanderungsdirektor” Benitez, die Hapag, Anwälte des Joint (jüdische Interessensvertretung), das von Kapitän ins Leben gerufene Bordkomitee und Kapitän Schröder drangen auf Kubas Präsidenten ein. Die Presse, zwischenzeitlich auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam geworden, beschwörte die Humanität.

Als Fanny Stein diese Zeilen schrieb, war sie noch voller Hoffnung auf eine gute Zukunft

Die Ereignisse überstürzten sich mit dem Ergebnis, dass der Staatspräsident Bru von Kuba am 2. Juni die offizielle Weisung gab, die “St. Louis” habe den Hafen unverzüglich mit den Passagieren zu verlassen, da die Passagiere illegal und durch Bestechung ihre Reisedokumente erworben hätten. Nur 22 jüdische Passagiere mit gültigen Visa zusammen mit 4 Spaniern und 2 Kubanern durften von Bord gehen.

 

Am 2. Juni verläßt die St. Louis Havanna und kreuzte vor der kubanischen Küste.

Am 3. Juni kreuzte die St. Louis langsam zwischen Havanna und Miami.

Am 4. Juni passierte die St. Louis Miami und lief nach Norden. Der Versuch Kapitän Schröders, einen Teil der Passagiere in Florida mit Rettungsbooten an Land abzusetzen, scheiterte an der US Küstenwache.

Die US-Regierung war nicht bereit das bewilligte Einwandererkontingent zu erweitern, aus Angst, dass einerseits die amerikanische Bevölkerung dies nicht akzeptieren würde und andererseits aufgrund dieses Falles weitere Flüchtlingsströme ins Land kommen würden. Auf Bittbriefe der Passagiere an Bord kam von Präsident Roosevelt keinerlei Reaktion.

Später drehte die St. Louis nach Süden ab und am 5. Juni passierte sie wiederum Miami und fuhr weiter nach Süden.

Die St. Louis im Hafen von Havanna
Die St. Louis im Hafen von Havanna

Am 6. Juni, zwischen Miami und Havanna, erhielt Kapitän Schröder von seiner Reederei die Order, mit den Emigranten nach Hamburg zurückzukehren, die St. Louis drehte ab mit dem Ziel Europa. 

Die Rückfahrt der “St. Louis” nach Europa vom 6. bis 17. Juni 1939 war für die jüdischen Passagiere die schlimmste Phase der ganzen Fahrt. Aus Angst vor der Deportation in Konzentrationslager gerieten die Passagiere in Panik und drohten mit Massenselbstmord und Meuterei. Erst kurz vor der Ankunft eröffnete sich durch die Bemühungen des Kapitän Schröders die Möglichkeit, die bedrohten Passagiere am 17. Juni 1939 in Antwerpen von Bord gehen zu lassen, nachdem sich einige Regierungen bereit erklärten die Flüchtlinge aufzunehmen. 

Was war nun damals wirklich geschehen?

Schon lange bevor die St. Louis sich auf den Weg machte, hatte der US-amerikanische Konsul in Havanna, Harald Tewell, am 18. März 1939 dem amerikanischen State Department einen vertraulichen Bericht unterbreitet mit dem Titel „Europäische Flüchtlinge auf Kuba“. Der Bericht beschrieb die Lage von 2500 jüdischen Flüchtlingen in Kuba, die Absicht 25.000 europäische Flüchtlinge dort anzusiedeln und die wachsende Ablehnung von Juden und Flüchtlingen.

Bezeichnenderweise hatte das deutsche Außenministerium schon am 25. Januar ein Rundschreiben versandt, mit der Überschrift „Die Judenfrage als Faktor in der Außenpolitik. Das Rundschreiben beinhaltet, dass eines der Ziele der deutschen Außenpolitik weltweit die Förderung anti-semitischer Stimmung sein wird.

Im April 1939 veröffentlichte das amerikanische „Fortune Magazine“ eine Umfrage, die besagte, dass 83% der Amerikaner gegen die Lockerung von Einwanderungsbeschränkungen seien.

Am 5. Mai erklärte der kubanische Präsident, Laredo Bru, im Erlass 937, alle vom Einwanderungsbeauftragten Benitez ausgestellten Landegenehmigungen für ungültig und verschärfte die Einwanderungsvorschriften für Kuba.

Am 8. Mai kam es in Havanna zu einer vom ehemaligen kubanischen Präsidenten Grau San Martin angestifteten Demonstration von 40.000 Kubanern gegen die Einwanderung von Juden.

Am 1. Juni traf sich Lawrence Berenson, ein Vertreter des amerikanischen Jewish Joint Distribution Committee mit Präsident Bru in Havanna. Die Besprechung blieb erfolglos.

Zwischen dem 10. Und 13. Juni 1939 erklärten sich einige europäische Länder dazu bereit, Passagiere der St. Louis aufzunehmen:

Großbritannien 288 Personen

Frankreich 224

Belgien 214

und die Niederlande 181.

Am 17. Juni 1939 legte die St. Louis im belgischen Antwerpen an. Die Passagiere gingen von Bord.

Dank der Bemühungen von Kapitän Gustav Schröder, war durch dessen menschliches Verhalten den Passagieren die schreckliche Reise erleichterte worden.

1957 wurde er für Verdienste um Volk und Land bei der Rettung von Emigranten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er verstarb 1959 in Hamburg. Auf Betreiben dankbarer St. Louis Passagiere wurde er vom Staat Israel posthum als

„Gerechter unter den Völkern“ geehrt.

Die Reise endete mit der hoffnungsvollen Note „Endlich in Freiheit ein Neues Leben beginnt“.

Es ist bittere Ironie, dass wenige Wochen später der Krieg ausbrach und diesen Traum vom Leben in Frieden und Freiheit zerstörte.

Was war nun das Schicksal der 21 Malscher, die im Juni 1939 in Antwerpen von Bord der St. Louis gingen?

8 von ihnen wurden dem Flüchtlingskontingent von Großbritannien zugeordnet, später konnten sie in die USA emigrieren.

Von den 13 Personen, die in Belgien Aufnahme fanden, verstarben dort 2.

5 konnten noch während des Krieges 1940 eine Passage in die USA erhalten.

Familie Kaufherr, das Ehepaar Isidor und Karolina Löb sowie Salomon Lehmann verblieben in Belgien. 

Joseph Kaufherr, als ehemaliger deutscher Soldat des ersten Weltkrieges und damit feindlicher Ausländer, wurde zu Beginn der deutschen Offensive am 10. Mai 1940 von der belgischen Polizei verhaftet und im Lager St. Cyprien und später im Lager Gurs in Südfrankreich interniert.

Joseph Kaufherr sah seine Frau Betty und Tochter Hannelore nie wieder, die, wie wir annehmen, 1942 in das belgische Lager Mechelen interniert wurden.

Von den 8 in Belgien verbliebenen Malscher St. Louis-Passagieren kamen 6 in Auschwitz um:

Das Ehepaar Isidor und Karolina Löb, Salomon Lehmann, dessen Frau Mina in Belgien starb, Joseph Kaufherr, seine Frau Betty und seine Tochter Hannelore.

Wie Mina Lehmann starb Amalie Herz in Belgien.

Hannelore Kaufherr wurde mit 16 Jahren am 4. August 1942 mit dem 1. Kindertransport aus dem Lager Mechelen mit 140 Kindern nach Auschwitz deportiert und am 5. August getötet. Joseph Kaufherr wurde ein Monat später am 4. September nach Auschwitz deportiert und getötet. Betty Kaufherr folgte ihrem Mann und ihrer Tochter am 26. September ins gleiche Todeslager, wo sie am 28. September getötet wurde.

Von den 937 Passagieren auf der St. Louis starb 1 Person auf der Fahrt nach Havanna.

254 starben in Auschwitz oder Sobibor, in Internierungslagern, Verstecken oder auf der Flucht. Ungefähr die Hälfte der St. Louis Passagiere emigrierte nach und nach in die USA, andere fanden Zuflucht in vielen anderen Ländern der Welt, nachdem es ihnen gelungen war, sich vor den Nationalsozialisten zu verstecken oder zu fliehen.